Das Einfachste ist das Wesentlichste
Artikel von Gabriele M. Langmayer und Günther Roppele
Was ist Biodanza
Biodanza bedeutet soviel, wie „das eigene Leben tanzen”. Es ist eine ganzheitliche Arbeit, die der Integration des Menschen, seiner organischen Erneuerung und dem Neuerlernen seiner ursprünglichen Lebens- funktionen dient und basiert auf Musik, Tanz, Gesang und der zwischenmenschlichen Begegnung. Tanz ist der ursprünglichste Ausdruck unserer Lebensfreude, eine universelle Körpersprache, die uns in der Tiefe berührt, eine Kommunikation mit uns selbst und unserer Umwelt, eine Möglichkeit zur Veränderung, die in ihrer Intensität einzigartig ist.
Ursprung
Biodanza wurde von dem aus Chile stammenden Anthropologen, Psychologen und Künstler Rolando Toro Anfang der 60iger Jahre entwickelt und kam vor ca. 8 Jahren nach Europa. Toro etablierte eine Bewegung, die eine Synthese aus wissenschaftlichen, künstlerischen und intuitiven Erkenntnissen unter anderem im Gesundheitswesen von Chile und Brasilien verankerte.
Und es ermöglicht jedem den Zugang zum Tanz jenseits von Kunstfertigkeit, Alter, Rasse oder Geschlecht.
Biodanza geht davon aus, dass jede menschliche Identität einmalig und durchlässig für die Musik ist. Mit Hilfe von Tanz, Musik, Gesang und Übungen der Gruppenkommunikation werden integrierende Vivencias (span: Erlebnis im Hier und Jetzt) ausgelöst. Es ist kein freier Tanz, sondern ein Instrument um verschiedenste organische und daraus resultierend auch psychische Prozesse auszulösen. Dies geschieht nicht manipulativ oder direktiv, die Vorgabe leitet nur präzise eine selbstbestimmte Veränderung ein, initiiert eine Transformation. Ein freier Tanz würde zu anfang nur die mechanischen Bewegungsmuster verstärken. Später machen die Vorgaben Platz für die eigene Freiheit und Kreativität.
Über den Tanz gelangt die Einmaligkeit des Einzelnen zum Ausdruck. In der Begegnung mit dem Anderen offenbart sich die Vielfältigkeit als ein Teil von uns. Unsere Wahrnemung verändert sich und konzentriert sich auf das Wesentliche.
Rolando Toro hat erkannt, daß das Eintauchen in die Harmonie, in den Rhythmus, untrennbar mit der Harmonie, mit dem kosmischen Rhythmus, mit der Schöpfung selbst verbunden ist.
Durch unseren Tanz sind wir nicht nur mit dem Kosmos, mit der Natur verbunden, wir feiern auch ein Fest der Gemeinschaft mit allen Menschen. Wir können uns im Tanz mit der Energie der Sterne, des Windes, des Wassers, der Erde verbinden. Wir können in unserem Körper das Transzendente mit dem Fleischlichen, das Innere mit dem Äusseren verbinden und der Entfremdung entgegenwirken. Tanz ist in vielen Kulturen ein primärer Zugang zu Transformation und Integration, denken wir an den Mythos von Shiva, den Gott des Tanzes und der Veränderung, der diesen Zusammenhang verdeutlicht.
Verbindung mit dem Leben
Die Selbstverständlichkeit der Verbindung mit dem Leben, wie sie Tiere und Pflanzen besitzen, hat der Mensch im Laufe seiner Enwicklung verloren.
Wir sind unfähig, ein Bio-Feedback mit allem was um uns lebt, herzustellen. Eines der wichtigsten Ziele von Biodanza ist daher, die Funktion der Verbindung mit dem Leben wiederherzustellen.
Rolando betont immer, daß; die Entwicklung eines ethischen Bewusstseins das wichtigste Ziel der Selbstverwirklichung ist und so versteht sich Biodanza auch als ein Weg der Liebe. Es geht darum eine Ökologie zu entwickeln, die auf einer praktizierten Liebe beruht.
Die meisten Menschen erleben sehr schnell und unmittelbar wie wunderbar und befreiend dieser „Tanz des Lebens” ist.
Die ganzheitliche Integration von Gefühl, Ausdruck und Bewegung geschieht in erster Linie über den Körper unter Nutzung alter Gehirnstrukturen. Biodanza spricht von einer Stimulation der emotionellen und instinktiven Intelligenz.
Für viele Menschen besteht der Prozess „inneren Wachstums” darin, ihre Ängste vor der Sexualität zu überwinden, mehr Vertrauen in sich selbst zu haben, gut mit anderen Personen kommunizieren zu können, seine Emotionen ausdrücken zu können etc. Das sind ganz ohne Zweifel legitime Ziele, die wahrhafte Entwicklung besteht aber darin, ein kosmisches Bewusstsein zu erreichen, d.h., die Heiligkeit der zwischenmenschlichen Beziehung, das Mitgefühl und die Zärtlichkeit zu erstreben.
Wir Menschen leiden ganz allgemeinen unter einem Mangel an Liebe und Kontakt oder affektiver (empfindsamer) Geborgenheit. Der Erotik wird zwar tendenziell ein immer grösserer Raum eingeräumt, allerdings nur sehr oberflächlich. Und leider scheint es so, als ob die Gefühle keine Konsistenz hätten, sie dauern nicht an und die Idee gemeinsam für ein Projekt, eine Sache zu kämpfen, ist in den Beziehungen abhanden gekommen. Ein wahrhaftiges kosmobiologisches Bewußtsein kann nur aus der tiefsten Empfindung unseres innersten Wesens hervorkommen, und nicht aus aufgesetzten Regeln.
Biodanza ist ein Weg der Erfahrung und öffnet den Raum für eine erfahrbare Liebe und ein Miteinander im Bewußtsein unserer Einzigartigkeit.
Das vitale Unbewußte:
Die neueste Entwicklung, die es zur Zeit im theoretischen Modell von Biodanza gibt, ist das Konzept des vitalen Unbewußten.
Wir haben einerseits das „individuelle Unbewußte”, das Freud entwickelt hat (und das von Reich und den Neofreudianern weiterentwickelt wurde) und andererseits das „kollektive Unbewußte” nach C.G. Jung - das sich auf die Archetypen (Grundcharaktere) der menschlichen Gattung bezieht. Das „vitale Unbewußte” (R. Toro) ist ein Psychismus der Zellen. Er beruht weder auf Vorstellungen, noch auf Symbolen und auch nicht auf Erinnerungen aus der Kindheit, sondern auf der Psyche der Organe und Zellen, die ein eigenes Zellgedächnis, zelluläre Kooperation, Abwehrsysteme, Affinitäten und Selektivität besitzen. Dabei handelt es sich um eine funktionierende Psyche, die nicht bewußt ist und in direkter Beziehung mit dem Kosmischen steht.
Mit Biodanza können wir auf den Zellpsychismus mit einer Serie von Hilfsmitteln einwirken, wie z.B. Stimmung anheben mittels euphorisierender Musik, Biodanza im Wasser, sensibler Massage, Schlammbädern, die auf die Gesundheit der Zellen einwirken. Es gibt auch eine Serie von Übungen, dazu gehören Regeression und Trance, die die Gesundheit des vitalen Unbewußten verbessern können. Dieses Unbwußte können wir weder mit Hilfe von Bildern, noch mit der Sprache erreichen, denn die Zellen reagieren auf ganz andere Art und Weise: sie reagieren auf Bewegung, auf zwischenmenschlichen Kontakt, auf die vier Elemente, auf das Kosmische.
Das vitale Unbeweußte steht in direkter Verbindung mit dem inneren Humor.
Das erkennt man in vielen Menschen in der Dritten Welt, die trotz ihrer Armut Freude empfinden oder glücklich sind, weil der zelluläre Psychismus in Harmonie ist. Der innere Humor ist unsere Leuchtkraft. Die Transzendenz und Erleuchtung sind natürliche Lebensfunktionen.
Diese jedem Menschen innewohnende Potential wird von Biodanza auf eine äußerst lustvolle Art und Weise gefördert. Im Endeffekt ist es äußerst schwierig ein System zu beschreiben, das auf Erleben beruht und Tiefen jenseits von Sprache und Symbolen durchschreitet. Die unmittelbar erfahrbare Einheit und Harmonie, die vielleicht ausser im (Bio) Tanz noch am ehesten in einem Gedicht erlebbar.
Jetzt ist es bereit zu geschehen
Jetzt ist der Tanz bereit sichtbar zu werden
Was bereit ist den Wall zu überwinden
ist das Meer des Herzens
Jemand ist dabei sein ersten Schritte zu tun
um im Wind Knospen zu treiben
Jetzt ist es bereit zu geschehen
Es ist das Duften der Rosenbeete
in deinem Gesicht
Alles beginnt im Traum
dann schlüpfen Engel in menschliche Körper
und das Unsichtbare wird sichtbar.
Rolando Toro 1998
Tanz als Stimulierung des menschlichen Potentials
Ausgehend vom genetischen Potential entwickeln wir im Laufe des Lebens unser Möglichkeiten. Rolando Toro faßt diese Möglichkeiten zu 5 Linien des Erlebens zusammen, als allen Menschen gemeinsame Lebensfunktionen:
- Vitalität - Lebensimpuls, Lebenskraft, Impuls für das Leben zu gehen, Öffnung für die Welt.
- Sexualität - Freude an der eigenen Sexualität; die Erlaubnis zum Genuß der Sinnlichkeit als Quelle zur Kraft; stärkt den Lebenswillen.
- Kreativität - schöpferische Gestaltung des eigenen Lebens, bis hin zum künstlerischen Ausdruck.
- Affektivität - Liebe, Zärtlichkeit und Respekt im gegenseitigen Geben und Nehmen zu entwickeln. Adäquate emotionale Reaktionen im Feedback. Erlernen der „zielführenden Anwort” im miteinander.
- Transzendenz - über das eigene Ego hinausgehen, um höhere Ebenen der Integration mit der Menschheit, der Natur und dem Universum zu erreichen. Das Auflösen der Grenzen unserer Vorstellung.
Die Entwicklung dieser Potentiale und ihre Harmonisierung wird im Tanz optimiert. Der Tanz bewegt uns aus einer Reinheit und Unschuld heraus, Grenzen werden niedergerissen und es entsteht ein Impuls zum Kontakt, der eine Evolution erlaubt.
Ganzheit
Die Wissenschaft der Psycho-Neuro-Immunologie erbrachte den Beweis für die Psychosomatik genauso, wie für das Konzept der Ganzheit. Peptide (Neurotransmitter, Immunotransmitter) sind die Substanzen, die Leib und Seele verbinden. Nerven und Immunsystem stehen miteinanden in direkter, gegenseitiger Verbindung. „Ganzheitlichkeit ist kein Schlagwort, sondern die Realität unseres Körpers.” (Hans Grün) Unsere Gefühle können überall in unserem Körper entstehen, wie es in alten Traditionen schon immer beschrieben war. So erbringen Gefühle verbunden mit Bewegung eine der stärksten Stimulationen des Immunsystems und damit der Selbstheilkraft. Tanz regt die Produktion verschiedenster Botenstoffe an und harmonisiert ihr zusammenwirken. Ein Kreis schließt sich, das Einfachste findet sich wieder im Komplexesten.
Vivencia
Der Aufbau der etwa 100 Minuten dauernden „Vivencia” (=intensiv erlebter Augenblick, Emotion & der Qualität des hier und jetzt) folgt einer methodologischen Struktur. Diese beinhaltet Übungen alleine, zu zweit, in einer Kleingruppe und in der ganzen Gruppe und dauern solange wie das begleitende Musikstück. Der/die Facilitaor, (span: Ermöglicher) schafft den Raum für ein Eintauchen in das „Hier und Jetzt”, das meist mühelos und fast wie von selbst geschieht. Durch diesen Prozess werden unsere Selbstheilkräfte massiv gefördert - die Stärkung des Immunsystems wurden durch die klinischen Untersuchungen Prof. R. Toros wissenschaftlich bestätigt.
Es entsteht ein Erlebnis von Fülle, Integration mit sich selbst, dem Anderen und der Umwelt.
Musik als universelle Sprache
Sie verbindet die Gefühlsbewegung und die Körperbewegung (lat. Emotion - enthält den Aspekt der Bewegung: wörtl. aus sich heraus bewegen) Musik wirkt unmittelbar auf die Emotion, ohne durch Gedanken analysiert zu werden. Durch die ausgewählte Musik wird ein ausdruckvoller Tanz stimuliert, weil eine direkte Verbindung zur Identität hergestellt wird.
Liebe
In diesem Jahrhundert hat sich das Interesse auf das Individuum als isoliertes Wesen konzentriert; heute wissen wir, daß es keine Möglichkeit gibt, sich isoliert zu entwickeln. Die Anwesenheit des Mitmenschen verändert unser Leben auf allen Ebenen. Den Weg der Liebe können wir nicht alleine gehen, er bedarf einer täglich kultivierten Sorgfalt und Konstanz. Alle Krankheiten hängen letzlich mit einem Mangel an Liebe zusammen, oder mit einer Liebe, die an Bedingungen geknüpft ist, denn das führt zu einer Schwächung des Immunsystems. „Bedingungslose Liebe führt zur stärksten uns bekannten Stimulation des Immunsystems”. (Siegel)
Einfachheit
Begegnung, Tanz, Freundschaft, Zärtlichkeit und Fröhlichkeit, Entgegenkommen zum Anderen bauen die Schwelle für den Eintritt des göttlichen in unsere Welt, für Harmonie und Gesundheit. Jedoch es zählen keine Ideale, sondern nur das wirklich gelebte, das Einfache, das Alltägliche.
Veränderung
Ein Ziel von Biodanza besteht darin, unseren Lebensstil nachhaltig zu verändern und die Qualität unseres Lebens zu verbessern. Durch den Kontakt mit unserem Ursprung erfahren wir eine „Wiedergeburt” und eine existentielle Erneuerung: Wo, mit wem, wie will ich leben, welche Aufgaben will ich erfüllen? Innere Ziele entdecken und verwirklichen ist unser existentielles Projekt. Wir Menschen sind Teil der Natur, deren Intention (Ausrichtung) der Wandel ist. Wandel bedeutet „mitfließen zu können” zwischen den beiden großen biologischen Kräften der Bewahrung und der Veränderung.
Der kosmische Mensch
Einstein meinte, die wichtigste Frage für unser Überleben wäre: Ist uns der Kosmos freundlich gesinnt? Doch können wir diese Frage auch umkehren: Sind wir dem Kosmos freundlich gesinnt? Kosmisches Bewußtsein ist kein billiger Animismus oder Aberglaube, wie es uns gern und gut verkauft wird, sondern die Erkenntnis unserer Verantwortung für die Welt, in der wir leben und beinhaltet die Möglichkeit einer selbstgesteuerten Evolution.
Identität und Begegnung
Die Begegnung mit anderen Menschen hilft uns, unserer eigene Identiät auszudrücken. Biodanza ist die „Poesie der menschlichen Begegnung”, die es uns ermöglicht auf anmutige, natürliche Weise unser Potential und unsere Identität zum Ausdruck zu bringen. Die Welt, die uns umgibt ist ein Orchester, das für uns den Rhythmus und die Melodie des Lebens spielt. Wir sind die Tänzer, alle bilden wir ein einziges rhythmisches, fließendes Wesen. Die Zellen unseres Körpers vibrieren zu dieser Musik. Unsere Gesten fallen ganz natürlich in den Rhythmus ein, ob wir uns dessen bewußt sind oder nicht, bewegen wir uns alle als eine einzige Einheit. Alles ist lebendig und tanzt. Das eigene Leben zu tanzen bedeutet das ursprüngliche Konzept des Tanzes widerzufinden, in seiner tiefsten Bedeutung als natürliche, von Gefühlen geleitete Bewegung.
Körper und Integration
Der Körper spiegelt unser Wesen und unsere persönliche Vergangenheit wieder. Alles was wir je erlebt haben, ist in der Muskulatur und im Gewebe gespeichert. Im Tanz drückt sich unser wahre Identität aus und wir kehren heim zu unserem eigentlichen Wesen. Körper, Geist und Seele bilden eine einzige nicht zu trennende Einheit: in jeder unserer Zellen sind Geist und Seele vorhanden. Der intensiv erlebte Augenblicke von Lust, Begeisterung und Liebe wirkt auf den gesamten Organsimus. Im Integrationsprozeß von Biodanza wird dem Erleben erste Priorität gegeben, später folgt das Bewußsein und schließlich folgt die Sprache.
Beziehung
Die medizinische Forschung hat den Wert der zwischenmenschlichen Beziehung anerkannt. Krisenzeiten erlebt jeder Mensch, doch wer auf Freunde und Familie zählen kann, wird leichter sein Gleichgewicht wiederfinden. Die zwischenmenschlichen Beziehungen brauchen eine Symetrie - ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen sowie ein ausgewogenes Maß an Verantwortung. Biodanza ermöglicht eine Verbesserung im Erkennen der eigenen Grenzen und der Grenzen der anderen. So verbessert es auch das Konfliktlösungspotential. Die „Heiligung” und „Heilung” der zwischenmenschlichen Beziehung ist ein vordringliches Ziel in unserer, an Entfremdung leidenden Gesellschaft. Es gibt erweiternde Arbeiten, die sich im speziellen mit der Mann-Frau-Beziehung beschäftigen, sowie ein Projekt, daß sich trotz des positiven Therapieansatzes von Biodanza mit den Schattenseiten des Menschen auseinandersetzt, hauptsächlich mit neurotischen Ängsten.
IM ZENTRUM
Ich werde mein ganzes Leben
der Poesie der kleinen Handlungen widmen,
dem Lied, das aus jedem Wesen entspringt,
wie eine Zisterne der Tränen
und Abwesenheiten.
Ich werde jeden Tag hineingehen
in dieses Gewebe des Unbekannten,
das die alltäglichen Dinge aufrecht erhält.
Ich werde dieses delikate Spiel spielen,
ohne Erinnerung zu leben,
in der Spirale eines Ammoniten.
Ich werde meine Kraft
aus dem reinen Gefühl beziehen
im Zentrum zu sein.
Rolando Toro
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